7 December 2025

Konkrete Verweisung bei der Berufsunfähigkeitsversicherung

Versicherungsgesellschaften dürfen Rentenzahlungen bei Berufsunfähigkeit nur dann einstellen, wenn die versicherte Person eine gleichwertige berufliche Tätigkeit aufnimmt. Im Falle einer konkreten Verweisung muss der Kunde erklären, weshalb der neue Job nicht mit dem alten vergleichbar ist. Sofern er dieser Darlegungslast nachgekommen ist, muss der Versicherer ihm das Gegenteil beweisen, um seine Rente zu verweigern.


Der Fall

Ein Dachdecker, der vor 21 Jahren eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung abgeschlossen hatte, klagte. Aus dem Vertrag erhielt er bereits seit Januar 2015 eine monatliche Rente in Höhe von € 1.052.

Im Februar 2017 nahm der Mann einen neuen Job an. Laut Arbeitsvertrag umfassten seine Tätigkeiten die Mitarbeit im Lager, Versand, Messebau, Liefertouren sowie Reklamationsbearbeitungen. Bei 40 Wochenarbeitsstunden war ein Bruttoarbeitslohn von zunächst € 10 pro Stunde vereinbart.


Im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens durch den Versicherer im September 2018 teilte der Kläger auf Nachfrage mit, Lagerarbeiten und Auslieferungstouren zu verrichten, außerdem gehörten Messeausstellung zu seinen Aufgaben. Sein Bruttolohn hatte sich mittlerweile auf

€ 12 erhöht.



Einkommenseinbuße ist hinzunehmen

Im Januar 2019 teilte der Versicherer dem Kunden mit, dass die Voraussetzungen der gewährten Berufsunfähigkeitsrente inzwischen nicht mehr vorliegen und wiesen auf seine aktuelle Tätigkeit als Lagerist/Auslieferer hin. Diese Beschäftigung entspricht seiner Ausbildung und Berufserfahrung bzw. seinen neu erworbenen Kenntnissen. Die niedrige Einkommenseinbuße zu seinem früheren Gesellenlohn von € 12,20 brutto pro Stunde, sei von ihm so hinzunehmen.

Hiermit befand die Gesellschaft seine Lebenssituation gewahrt und stellte die monatlichen Rentenzahlungen ab Mai 2019 ein. Dagegen legte der Kunde zweifach schriftlich Protest ein, den die Versicherungsgesellschaft jeweils zurückwies.


Voraussetzungen der Verweisung

Der Kunde argumentierte, die Versicherungsgesellschaft sei nicht autorisiert gewesen, die Rentenzahlung einzustellen. Da ihm keine Vergleichsbetrachtung der Berufe unterbreitet wurde, seien die formellen Voraussetzungen der Verweisung nicht gewahrt worden.

Zudem stellten die von ihm ausgeübten Arbeiten keine vergleichbaren Tätigkeiten zu der eines Dachdeckergesellen dar. Seine neu aufgenommen Jobs erfordern keine Berufsausbildung und es gibt keine Aufstiegsmöglichkeiten.


Ab November 2019 war der Kläger mit zunächst € 12 brutto als Hausmeister beschäftigt. Dem Arbeitsvertrag zufolge gilt er als gewerblicher Mitarbeiter und seine Tätigkeit umfasst das Führen von Gabelstaplern, Bau- und Kehrmaschinen zu innerbetrieblichen Zwecken.



Landgericht wies Klage des Kunden ab

Auf diese neue Beschäftigung verwies die Gesellschaft ihn im erstinstanzlichen Verfahren, mit dem der Dachdecker die Rentenzahlung einklagte. Die Einkommenseinbuße ist nur gering, sodass die ausgeübten Berufe miteinander vergleichbar sind und damit die Lebensstellung des Klägers gewahrt bleibt.


OLG entscheidet für den Kläger

Daraufhin wandte sich der Kläger an das Thüringer Oberlandesgericht. Dieses entschied mit Urteil vom 19. Juni 2025 (4 U 537/23) zu seinen Gunsten mit der Begründung, dass die neu angetretenen Arbeitsstellen deutlich weniger Fähigkeiten und Verantwortung verlangten. Im Berufungsverfahren änderte es damit ein Urteil des Landgerichts Mühlhausen (LG) vom 04. Mai 2023 (6 O 400/21) ab. Eine Revision gegen das OLG-Urteil wurde nicht zugelassen.

Demnach ist der Versicherer verpflichtet knapp € 39.000 plus Zinsen nachzuzahlen. Das entspricht der Summe von 37 Monatsrenten von jeweils € 1.052 für die Zeit seit Mai 2019.



Teilen