BaFin bezweifelt Kundennutzen vieler Lebensversicherungen

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) übt scharfe Kritik an den Kosten kapitalbildender Lebensversicherungen. Eine Marktanalyse im Jahr 2018 hatte bereits dazu geführt, dass aufsichtsrechtliche Vorgaben teilweise verschärft wurden. Doch die Probleme bestehen weiterhin, das haben jüngst Untersuchungen gezeigt.

"Lebensversicherungen sollen den Absicherungsbedürfnissen und Renditeerwartungen der Kundinnen und Kunden gerecht werden. Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, ist es aber leider nicht", so zitiert das Handelsblatt BaFin-Chefaufseherin Julia Wiens, die beim "Strategiemeeting Lebensversicherung" des Wirtschaftsmagazins sprach. Die Bundesanstalt nahm die Produkte von 13 Lebensversicherungsgesellschaften unter die Lupe, die ein Viertel des Marktes abbilden. "Was wir da bislang herausgefunden haben, gefällt uns überhaupt nicht", äußert sich Wiens dazu.

Wohlverhaltensregeln

Die BaFin veröffentlichte im Mai 2023 ein Merkblatt, das die Anbieter zu Wohlverhaltensregeln bei kapitalbildenden Produkten verpflichten sollte. Eine wichtige Prämisse dabei, den Kundennutzen ausreichend zu berücksichtigen. Die Lebensversicherer wurden aufgefordert, bereits bei der Zulassung von Produkten einen Zielmarkt zu identifizieren, auf dessen Bedürfnisse hin sie die Versicherung anpassen und kalkulieren. Allerdings waren die Vorgaben hierfür pauschal und wenig konkret. Die Gesellschaften sollten aber auch prüfen, ob die dafür vorgesehene Personengruppe nicht nur eine positive Rendite nach Kosten, sondern ebenfalls eine positive Rendite nach der Inflation erreicht. Als Maßstab wurde das mittelfristige Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB), nämlich zwei Prozent genannt.

Wirkung unklar

Aus Sicht der BaFin bleibt allerdings unklar, in wieweit das Merkblatt Wirkung zeigt, denn ihre Aussagen dazu sind teils widersprüchlich. In einem kürzlich veröffentlichten Fachbeitrag heißt es: "Die Versicherungsaufsicht hat bereits nennenswerte Verbesserungen für die Kundinnen und Kunden erreicht. Einige Produkte, die keinen angemessenen Kundennutzen bieten, wurden vom Markt genommen. Darüber hinaus konnten Kostensenkungen im Bestand sowie rückwirkende Kompensationsmaßnahmen erzielt werden."

BaFin widerspricht sich

Nur wenig später wird aber ausgeführt: „die Beurteilung der untersuchten Lebensversicherungstarife hat gezeigt, dass diese den Vorgaben des Merkblattes bisher nicht genügen und ein angemessener Nutzen für den Zielmarkt bei den Produkten nicht erkennbar sei.“ Julia Wiens beendete ihre Rede auf dem Handelsblatt Strategiemeeting daher mit der nachdrücklichen Mahnung an alle anwesenden Versicherungsvorstände: "Sorgen Sie für einen angemessen Kundennutzen!"

Welche Missstände werden im Detail bemängelt?

Hohe Stornozahlen bei langen Laufzeiten

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) argumentiert gebetsmühlenartig, es werden vorzeitig vergleichsweise nur wenige Lebensversicherungsverträge gekündigt. Die Stornoquote von 3,14 Prozent bewertet die BaFin allerdings anders. Bei einer Ansparphase von 40 Jahren bedeutet das beispielsweise, dass sich über 70 Prozent der Kundinnen und Kunden bereits vorzeitig von ihren Verträgen getrennt haben. Es gilt aber zu berücksichtigen, dass Vertragslaufzeiten von 15 bis 30 Jahren häufiger gewählt werden. Außerdem fielen bei den Prüfungen die Stornoquoten verschiedener Lebensversicherer auf. In einigen Fällen beenden die Hälfte der Versicherten ihren Vertrag bereits innerhalb der ersten Vertragsjahre.

Vorzeitige Kündigung ist häufig Verlustgeschäft

Da viele Kunden ihren Vertrag vorzeitig kündigen, verpflichtete die BaFin alle Lebensversicherer bei der Bewertung des Kundennutzens auch das Storno zu beachten. Die BaFin bemängelt, dass bei vorzeitiger Vertragsbeendigung eine überproportional hohe Kostenbelastung entsteht. Ein Grund dafür ist, die Gesellschaften erheben die Vertragskosten verstärkt zu Beginn des Vertrages. Diese einbehaltenen Beträge fließen nicht in das Vertragsguthaben und tragen somit nicht zur Rendite bei. Erschwerend komme hinzu, dass es üblich ist einen Teil der Kosten als Prozentsatz der gesamten Beitragssumme zu berechnen. Das gleicht sich zwar durch eine niedrigere Kostenbelastung in späteren Vertragsjahren wieder aus, kommt es aber zur vorzeitigen Vertragsbeendigung, findet dieser Ausgleich nicht statt.

Kickback-Zahlungen

Haben Kickback-Zahlungen überhaupt einen Nutzen für den Kunden? Laut BaFin ist es nach wie vor gängige Praxis, dass Anbieter bei fondsgebundenen Produkten von den Fondsgesellschaften einen Wertbeitrag dafür erhalten, da sie in deren Fonds investieren. Diese Vergütung erhält der Kunde aber nur teilweise. Wiens kritisierte derartige Zahlungen in ihrer Rede scharf: "Solche Praktiken, die einseitig zulasten der Kundinnen und Kunden gehen, sind nicht akzeptabel", sagte sie. "Fehlt der angemessene Kundennutzen oder entspricht ein Produkt nicht den Bedürfnissen des Zielmarkts, ist das ein schwerwiegender Missstand." Da die Versicherungsgesellschaften ohnehin eine Vertriebsprovision erhalten, entstehen durch die Rückvergütungen zusätzliche Kosten für den Kunden.

Hohe Effektivkosten

Effektivkosten geben an, wie stark die gesamten Kosten einer Lebensversicherung die Rendite des Vertrages schmälern. Damit der Kunde eine positive Rendite erzielt, müssen diese Aufwendungen erst einmal erwirtschaftet werden. Bei den Produkten einiger Unternehmen lagen die Effektivkosten bei vier Prozent oder sogar noch deutlich höher. In ihrer Rede sprach Julia Wiens deutliche Worte an die Versicherungsvorstände und fragte: "Mal Hand aufs Herz: Welche Rendite erzielen die Fonds in ihren Produkten? Oder anders gefragt: Würden Sie solche Produkte guten Freunden empfehlen?"

Formale Mängel bei der Zulassung

Die durchgeführten Analysen der BaFin legten formale Mängel beim Produktfreigabeverfahren offen. So wiesen die Lebensversicherungsgesellschaften Defizite bei den "Grundsätzen der Aufsicht und Lenkung" auf - das sind interne Leitlinien - die sie erstellen müssen, um die Anforderungen an das produktindividuelle Produktfreigabeverfahren zu definieren. Auch die Produktfreigabeverfahren selbst sind betroffen, denn die Beschreibung des Zielmarkts ist häufig vage gehalten. Eine nähere Auseinandersetzung mit den Merkmalen und Bedürfnissen der Angehörigen des Zielmarkts war bei diesen Anbietern kaum erkennbar. Die BaFin will den festgestellten formalen Mängeln nachgehen.

Tragweite der beobachteten Mängel

Sowohl der angesprochene Fachartikel als auch die Rede von Julia Wiens wurden auf der Homepage der BaFin veröffentlicht. Sie hob noch einmal die Tragweite der festgestellten Mängel hervor: "Ich möchte es klar sagen: Solche Praktiken, die einseitig zu Lasten der Kundinnen und Kunden gehen, sind nicht akzeptabel. Wenn ein angemessener Kundennutzen fehlt, wenn ein Produkt also nicht den Bedürfnissen des Zielmarkts entspricht, dann ist das ein Missstand, wie er im Buche steht. Genauer gesagt im Versicherungsaufsichtsgesetz". Sie stellte zudem klar, dass zukünftig auch weitere Anbieter untersucht werden.

 

 

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