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Gesetzlicher Rentenversicherung droht massive Unterdeckung

Im Rahmen einer Studie der Investmentgesellschaft Union Investment überprüfte Bernd Raffelhüschen, Professor für Finanzwissenschaft und Sozialpolitik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, die aktuelle Lage der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV). Daraus ging hervor, dass sich die Probleme des deutschen Rentensystems, die politischen Entscheidungen geschuldet sind, durch die Corona-Pandemie weiter verschärfen.

Nachhaltigkeitslücke von € 3 Billionen

Schon vor Corona wies die GRV eine Nachhaltigkeitslücke in Höhe von € 2,6 Billionen auf. Der Lockdown wird diese auf € 3 Billionen weiter vergrößern. Verantwortlich dafür sind sinkende Einkommen und damit verbunden auch geringere Renteneinnahmen, während die Rentenzahlungen aufgrund gesetzlicher Vorgaben gleich bleiben. "Zahlen muss dies die zukünftige Generation", warnt Raffelhüschen.

Wenig Handlungsspielraum

Zusätzlich fehle der Politik in den nächsten Jahren Handlungsspielraum, "um die zusätzlichen Belastungen der GRV durch weitere Steuerzuschüsse aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren", ist der von Union Investment veröffentlichten Untersuchung zu entnehmen. Die Folgen der Corona-Pandemie sind noch nicht überschaubar, werden sich aber sicherlich negativ auf die Staatsverschuldung auswirken, "die sich nicht nur in der offiziellen Statistik abbildet, sondern vor allem durch einen extrem gestiegenen impliziten Anteil an Verpflichtungen zu Buche schlagen wird, die heute schon absehbar die öffentlichen Haushalte in Zukunft belasten werden."

Anstieg der Verschuldung um 20 Prozent

Am Anfang des Jahres lag die durch Schuldverschreibungen verbriefte Staatsschuld bei 59,8 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP), wird jedoch laut dem Finanzwissenschaftler durch staatliche Unterstützungsmaßnahmen auf rund 80 Prozent ansteigen. In den Folgejahren sind weitere Defizite zu erwarten. Obendrein so schätzt der Ökonom, werden die massiv steigenden Beamtenversorgungslasten Wirkung zeigen und die im Umlauf befindlichen Schuldverschreibungen auf mehr als 100 Prozent des BIP addieren.

Implizierte Staatsverschuldung wird offiziell übersehen

Dazu kommt noch die implizierte Staatsverschuldung, "verursacht durch die absehbaren Finanzierungslücken in der Kranken-, Pflege-, Arbeitslosenversicherung, der Gebietskörperschaften sowie der Beamtenversorgung", ist weiter in der Analyse zu lesen. Die gesamte Nachhaltigkeitslücke für dieses Jahr liegt somit nicht mehr bei 236 Prozent des BIP, sondert summiert sich durch die staatlichen Corona-Maßnahmen auf mittlerweile 357 Prozent. Demnach wird weniger als ein Fünftel der tatsächlichen Verschuldung offiziell ausgewiesen. Laut Professor Raffelrüschen bleiben 285 Prozent des BIP als "fehlende Rückstellungen des Sozialstaats" im Verborgenen.

"Kommt es zu keiner Revision der Leistungshöhen von Beamtenpensionen, Kranken- und Pflegeversorgungen oder Rentenzahlungen, werden Stück für Stück die unsichtbaren Staatsschulden sichtbar und belasten die öffentlichen Haushalte massiv", betont er und fügt hinzu: "Aufgrund der wachsenden Nachhaltigkeitslücke in der GRV und den sinkenden staatlichen Steuerzuschüssen, werden die Rentenbeiträge über kurz oder lang auf ein Fünftel des Bruttogehaltes gedeckelt werden müssen."

Versorgungslücke steigt

Raffelrüschen ist überzeugt, dass daraufhin das Rentenniveau auf unter 40 Prozent sinken werde. Um jedoch den Lebensstandard sichern zu können, sind 60 bis 80 Prozent des letzten Bruttolohnes notwendig, so die Faustregel. Damit entsteht für zukünftige Rentner, die sich auf die GRV verlassen, eine Versorgungslücke von 20 bis 40 Prozent. Sein Fazit: "Die GRV kann die auf der Grundlage der Rentenreform 2001 getroffenen Versorgungsanforderungen nicht mehr erfüllen. Als Folge wird sie den Lebensstandard künftiger Rentner in dieser Form noch weniger sichern als bisher und die notwendigen Altersvorsorgeanstrengungen zur Lebensstandardsicherung steigen dadurch weiter an - und das in Zeiten niedriger Zinsen."

Politik muss dringend handeln

Professor Raffelrüschen fordert, "die private Vorsorge in einem vernünftigen Rahmen weiterzuentwickeln". Aus seiner Sicht besteht durch die Politiker dringend Handlungsbedarf. Derzeit erschwert der Staat die Bildung von privaten Vorsorgevermögen bei breiten Bevölkerungsschichten durch die "strengen Vorschriften bei der Allokation der Anlage- und Refinanzierungsstrukturen des Finanzsektors."

Reformen unumgänglich

In Folge davon können viele Versicherungs- und Finanzunternehmen ihren Kunden nur noch scheinbar sichere Anlagen anbieten, mit denen in der aktuellen Nullzinsphase keine Renditen mehr erzielt werden. In Kombination mit sinkenden Leistungen der GRV ist das fatal. "Statt des Zwangs zur nicht verzinsten Staatsanleihe muss der Gesetzgeber die private Altersvorsorge reformieren und der Finanzindustrie die Freiheit zur Diversifikation eröffnen", betont Raffelhüschen.

Zinssituation wird sich nicht ändern

Hans Joachim Reinke, Vorstandsvorsitzender von Union Investment, ergänzt: "Wir werden bei den Zinsen in den nächsten Jahren keine Entspannung sehen. Daher ist es umso wichtiger und für unsere Volkswirtschaft zielführender, den Aufbau von Vorsorgevermögen für breite Bevölkerungsschichten über den Zugang zu den Kapitalmärkten zu erleichtern." Durch die faktische Abschaffung der Zinsen hat die Europäische Zentralbank (EZB) finanziell klammen Ländern - die nicht in der Lage sind, Zinsen auf ihre Verbindlichenkeiten zu bezahlen - Zeit verschafft. Der Leidtragende ist der Sparer, der auf tradionelle Anlagen im Bereich Banken und Versicherungen setzt. Hier ist dringend ein Umdenken notwendig.

 

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